Forschungen
Der Verein Geschichte und Zukunft möchte eine diversifizierte Forschung fördern. Ausgehend von den mittlerweile umfassenden Ergebnissen über völkische Wissenschaften und ihren Akteuren soll in weitere Richtungen geforscht werden. Der Verein verpflichtet sich deshalb neben dem Feld der Völkischen Wissenschaften weitere Forschungsschwerpunkte zu eröffnen: „Provenienz, Restitution und Recht“ sowie „Geschichte des Reputationsmanagements“.
Forschungsschwerpunkt „Völkische Wissenschaften“
Jüngste Forschungsergebnisse wie im „Handbuch der Völkischen Wissenschaften“ publiziert bieten neue Längsschnittanalysen über die Akteursnetzwerke und Forschungskonzepte der völkischen Wissenschaft und deren Wechselwirkung mit der Politik. Der Beginn der inhaltlichen und qualitativen Erweiterung der Judenfeindschaft bereits in der „Sattelzeit“ um 1800 verweist auf die Kontinuität eines immanenten Antisemitismus und rassistischen Nationalismus von 1810-1960, der sich mit dem Aufkommen der Völkischen Bewegung im Kaiserreich auch wissenschaftlich manifestiert.
Durch einen breiteren Einbezug der Fachgebiete von der Archäologie, Frühgeschichte, über Burgenforschung, Sonderpädagogik, Rassenbiologie, Umvolkung, ungarische und tschechische Volkstumsforschung zu Antisemitismus und Tsiganologie und Sportwissenschaften sowie auch Pseudowissenschaften konnten diese langfristigen diskursiven völkischen Praktiken bisher dargelegt werden.
Bestehende Desiderata etwa über die Geschichte der Volkstumsforschung in Ost- und Südosteuropa und zu wichtigen sozialen wie wissenschaftlichen Netzwerken sollen geschlossen werden. Der Forschungsstand aufgrund neu zugänglicher Archivalien zum Thema völkischer Wissenschaften in der 2. Dekade des 21. Jahrhunderts soll validiert und deutlich auf den Zeitraum seit 1800 bis in die jüngste Gegenwart erweitert werden.
Gerade die Verflechtungen und Wechselbezüge zwischen Gesellschaft, Politik, Medien und den Wissenschaften bilden ein wesentliches Erkenntnisziel der historischen Forschungen. Wissenschaftliche Diskurse und Disziplinen sind in dieser Perspektive mit der gesellschaftlichen Entwicklung stets eng verflochten. Hierzu hat Mitchell G. Ash das wechselseitige Ressourcenverhältnis zwischen diesen Sphären theoretisch anspruchsvoll dargestellt. Die häufig zu vernehmende Rede von den „Pseudowissenschaften“ oder gar von einem „Missbrauch der Wissenschaften“ für politische Zwecke erscheint mit kritischem Vorbehalt, weil sie die Wissenschaften gleichermaßen nicht als Teil der Gesellschaft, sondern als immune Sphäre begreift. „Völkische Wissenschaften“ sind nicht oder jedenfalls nicht nur am Rande oder außerhalb des Mainstreams der Wissenschaften zu verorten, vielmehr sind sie Teil der Wissenschafts- und zugleich der Gesellschaftsgeschichte, die in Deutschland und Österreich letztlich im „Dritten Reich“ zum Holocaust führte.
„Völkische Wissenschaften“ einte noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zweifellos eine ethnozentrische und partiell rassistische Codierung von „Volk“, „Volkstum“ und „Volksgemeinschaft“; sie entfernten sich damit auch vom Ethos der Wissenschaften, grundsätzlich allen Menschen ohne Ansehen ihrer Herkunft dienen zu wollen. Die Forschungsergebnisse machen deutlich, dass „völkische Wissenschaften“ auf Methoden, Fragestellungen und theoretischen Konzepten beruhten, die im wissenschaftlichen Diskurs verhandelt und lange Zeit als seriös und anspruchsvoll gegolten hatten. Damit aber wird deutlich erkennbar, dass die Rede von den „Pseudowissenschaften“ vielfach nur den Blick verstellt auf die in den Wissenschaften selbst angelegten Potenziale, seien sie aus ethischer Sicht negativ oder positiv konnotiert.
Ethnozentrisch und teils rassistisch motivierte Inklusion und Exklusion sind gegenwärtig wieder en vogue, diskursiv mal mehr, mal weniger verklausuliert. Besorgnis erregt dabei vor allem das Präsentationsmanagement durch die Verrohung der Sprache in Teilen der Gesellschaft, die mit einem emotional geführten „Kampf um den öffentlichen Raum“ einhergeht, der wiederum als „Widerstand“ gegen eine vorgeblich „volksferne“ Elite organisiert und inszeniert wird. Wie in einem Interview mit dem Sozialpsychologen Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld) im ZDF im Herbst 2017 erwähnt, geht es dabei auch um bewusste Tabubrüche und Skandalisierung, die auf einen gesellschaftlichen Resonanzboden stoßen.
Forschungsschwerpunkt „Provenienz, Restitution und Recht“
Die gesellschaftlichen Folgen der Völkischen Wissenschaften wirken jedoch noch bis heute nach: Die heutige Dienstvilla des Bundespräsidenten, die Causa Glaser, die Sammlung Gurlitt, das Politikum „Kirchners Straßenszene“ – noch über 70 Jahre nach Kriegsende kommen immer neue Fälle von verfolgungsbedingtem Vermögensentzug ans Licht. Während Provenienzforschung und Restitutionsverfahren nach den Washington Principles sich in der Regel auf Kunstwerke beschränken und in vielen Fällen von Kunsthistorikern bearbeitet werden, sollen in diesem Forschungsschwerpunkt weitere Faktoren Beachtung finden. In zahllosen Fällen wurden Liegenschaften, Autos und Unternehmen verfolgungsbedingt entzogen. Wenngleich in den allermeisten Fällen de jure keine Rückgabeansprüche mehr bestehen, kann aber dennoch eine Rückgabe im Sinne der Transitional Justice geboten sein; ebenso eine historisch-rechtlich korrekte Einordnung des geschehenen Unrechts.
Der Forschungsschwerpunkt regt die interdisziplinäre Erforschung verfolgungsbedingten Vermögensentzuges – insbesondere mit Blick auf Unternehmen und Liegenschaften – durch Historiker, Kunsthistoriker, Juristen, Steuerberater/WP, etc. an.
Bei der verfolgungsbedingten Entziehung von Bibliotheken, Exponaten und Forschungsergebnissen spielten die Akteure der Völkischen Wissenschaften oft bedeutende Rollen. Gleichzeitig bereiteten sie den Weg für die Schamlosigkeit, mit der Bereicherung auf Kosten von Verfolgten stattfand. Diese oft wenig beachteten Aspekte sollen in diesem Forschungsschwerpunkt beleuchtet werden.
Forschungsschwerpunkt „Geschichte des Reputationsmanagements“
Dominierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige Zeitungsbarone das völkische Spektrum so wird die divergierende Medienkultur des 21. Jahrhunderts geprägt von sozialen Medien. Nie in der Geschichte war es möglich, Themen so rasch zu verbreiten. Damit einhergehend ist die Versuchung und die Gefahr größer, dieses Instrument zu missbrauchen. „Fake-news“, „alternative Fakten“ und andere Schlagwörter prägen die Diskussion. Doch auch mit sogenannten „shitstorms“ lassen sich Debatten entfachen, steuern und die Reputation von Menschen erheblich schädigen.
Marginalisierung und Reputationsschädigung durch Social-Media-Kampagnen ist ein Mittel sozialer Auseinandersetzung. Die so manipulierte Deutungshoheit kann genutzt werden, um Wettbewerber zu schädigen oder untragbar zu machen. Neben Politik und Wirtschaft gilt dies zunehmend auch für die Wissenschaft. Wenn jemand während eines Berufungsverfahrens manipulierte strafbare Inhalte auf seinem PC, sich im Dialog mit Studierenden anzüglich verhalten oder politisch fragwürdige Äußerungen verbreitet haben soll: Im Zweifel gegen den Angeschuldigten ist eine häufige Reaktion. Im derzeit aufgeheizten politischen Klima in Deutschland sind faktenbasierte Forschungsergebnisse schon dadurch marginalisierbar, dass dem Wissenschaftler mit unwahren Behauptungen ein problematisches Verhältnis zu NS-Tätern unterstellt wird.
Doch diese Mechanismen sind nicht neu. Sie haben allenfalls mehr Geschwindigkeit und Durchschlagskraft. Die innere Logik ist jedoch ein historisch oft beobachtetes Phänomen. Die Behauptungen der Katholischen Kirche über Luther, Zwingli, Calvin und andere, sowie deren Behauptungen über den Vatikan sind ein Beispiel für das Ringen um die Deutungshoheit mit nicht immer den Fakten verpflichteten Mitteln. Ein anderes Beispiel ist die Propaganda im Ersten Weltkrieg. Wer erinnert sich nicht an die angeblich von den „Hunnen“ an Scheunentore genagelten belgischen Krankenschwestern? Doch auch Beispiele wie die der Investoren Jürgen Schneider oder Warren Buffet zeigen, wie positives Reputationsmanagement wirkt.
Am deutlichsten wird der Effekt positiven Reputationsmanagements bei einem Blick auf jene Wissenschaftler, die zur Zeit des NS-Regimes in Verbrechen verstrickt waren oder politisch das Regime ostentativ unterstützten. Namen wie Walter Gerlach, Kurt Plötner, Rudolf Greifeld, Hans-Ernst Schneider, Abraham Esau, aber auch Martin Heidegger, Arnold Gehlen oder Theodor Oberländer zeigen, dass nach dem Kriege auf vielfältigem Wege gezielt Informationen unmittelbar oder mittelbar über Netzwerke gestreut wurden, um die Reputation neu aufzubauen.
Reputationsmanagement ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es spezialisierte Unternehmen für dieses Feld. Die akademische Kanonisierung dieser Disziplin hat erst vor einiger Zeit begonnen.
Die Forschungen über die Verläufe von shitstorms und die Entwicklung von shitstorm-Simulatoren zeigen nicht nur, wann die Opfer von Negativ-Kampagnen optimal reagieren – sie erfordern viel Wissen und Technik aus der Informationswissenschaft. Die Möglichkeiten der Bewertung von Äußerungen im öffentlichen Raum und Reaktionsoptionen erfordern Wissen der Rechtswissenschaften. Die wirtschaftliche Einschätzung der Folgen von Angriffen und Verteidigung erfordert Wissen der Ökonomen. Strategien zur Abwehr von Angriffen und zum Aufbau von positiver Reputation benötigt Wissen der Kommunikationswissenschaften, unter Umständen auch militärischer Disziplinen. Der Umgang mit Motiven einerseits und dem Schicksal der bedrängten Ziele von Angriffen erfordert Wissen der Psychologen.
Allen im Bereich der Reputationsforschung zusammenwirkenden Disziplinen ist gemeinsam, dass das Erkennen von Mustern die Gewinnung von Erkenntnissen erheblich erleichtert. Diese Muster ergeben sich in vielen Fällen aus der Geschichte. Eine der prägnantesten Epochen ist die Zeit zwischen 1919 und 1969. Hier gibt es zahlreiche Überschneidungen mit den Forschungen zu den „Völkischen Wissenschaften“. Die Sinnsuche und der Verdrängungswettbewerb in den Geisteswissenschaften nach 1918, die „Neuausrichtung“ ab 1933, der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, die „Entnazifizierung“ und die Mystifizierung der Vergangenheit bei gleichzeitiger Wiedereinrichtung in der Nachkriegszeit ist voller Beispiele für Kampagnen-Verläufe, Positionierungsstrategien und Kommunikationsentwicklungen.
Insofern ist – ausgehend von der Geschichte der völkischen Wissenschaften – die Reputationsforschung ein darauf aufbauender Forschungsschwerpunkt.